Fusion von Vonovia und Deutsche Wohnen – geht uns alle was an!
Hier im kleinen idylischen Lipperreihe ist das Thema der Fusion weit weg, aber die grundlegende Frage, der Kern des Problems bleibt meistens unbeachtet: „Ist es überhaupt richtig, am Bedürfnis nach Wohnraum von Menschen mitzuverdienen“? Und deshalb geht es uns alle an!
Auch in Lipperreihe haben schon einige die Erfahrung machen müssen, wie nah das Problem kommt, wenn die Kinder einen Studienplatz haben – aber keine leistbare Wohnung.
Text: Chris Vielhaus, Perspective Daily. Mit dem Zusammenschluss der Vonovia und Deutsche Wohnen soll der mit Abstand größte Wohnungskonzern Europas entstehen. Mieter:innen, Handwerk und Teile der Politik fürchten die Marktmacht des neuen Megakonzerns – und diskutieren am grundlegenden Problem vorbei.
Das Grundproblem: Wohnen soll Profite schaffen
Sowohl Vonovia als auch Deutsche Wohnen sind börsennotiert. Der größte Anteilseigner ist jeweils die US-amerikanische Fondsgesellschaft Blackrock. Diese verwaltet 7,5% der Anteile an Vonovia, 10,2% an der Deutsche Wohnen und zudem auch 9,7% am drittgrößten Wohnungskonzern in Deutschland, LEG Immobilien (Wohnungsbestand: 134.000).
Der Interessenkonflikt, der sich hier seit Jahren immer weiter verschärft und mit der anstehenden Fusion einen neuen Höhepunkt erreicht, ist klar. Den Renditeerwartungen der einen steht das Grundbedürfnis nach bezahlbarem Wohnraum der anderen gegenüber. Während in der Debatte viel über die Details gestritten wird, bleibt diese grundlegende Frage, der Kern des Problems, meistens unbeachtet: Ist es überhaupt richtig, am Bedürfnis nach Wohnraum von Menschen mitzuverdienen?
Es gibt einen entscheidenden Punkt, der den Wohnraumsektor vom produzierenden Gewerbe oder dem Dienstleistungssektor unterscheidet, und den Renditezwang hier besonders heikel macht. Denn im Gegensatz zu »normalen« Unternehmen, die Rendite durch technischen Fortschritt und die Ausweitung ihrer Produktion generieren können, können »Wohnunternehmen« nicht auf diese Art und Weise wachsen. Eine Wohnung bleibt immer eine Wohnung – außer sie wird teuer renoviert oder es werden Kosten eingespart.
Die Gewinnmaximierung erfolgt nachweislich über zweifelhafte Praktiken wie die bereits angesprochenen ungewollten Modernisierungen von Wohnungen, die es erlauben, im Anschluss die Miete zu erhöhen. Gleichzeitig werden tatsächlich notwendige Instandhaltungen häufig auf die lange Bank geschoben oder erst gar nicht durchgeführt
Warum die »Beruhigungspillen« der Konzerne mit Vorsicht zu genießen sind
Die Mieter:innen müssen mit ihrer Miete also nicht nur den Milliardenkaufpreis für die Deutsche Wohnen aufbringen, sondern auch die Rendite für die Anleger:innen. Und um die Rendite zu steigern, hat sich der neue Riesenkonzern einen besonders lukrativen Deal ausgedacht. Doch lukrativ für wen?
Die Öffentlichkeit blickt naturgemäß sehr kritisch auf die geplante Fusion. In Berlin läuft seit einiger Zeit die Bürger:inneninitiative »Deutsche Wohnen Enteignen«, die sich für eine Vergesellschaftung der privatisierten Wohnungsbestände einsetzt und dafür in einer Petition zuletzt 200.000 Unterschriften gesammelt hatte.
Eine Art Kuhhandel
Um das Brodeln an der Basis zu beschwichtigen, bieten die Wohnungskonzerne dem Land Berlin nun in einer Art Kuhhandel an, 20.000 Wohnungen an das Land abtreten zu wollen – zu einem Preis von 18 Milliarden Euro. Der regierende Bürgermeister der Hauptstadt, Michael Müller (SPD), signalisierte bereits Interesse. Heikel daran: Erst im Jahr 2004 hatte das Land in einem parteiübergreifenden Konsens unter der Federführung eines gewissen Thilo Sarrazin dem Vorgängerunternehmen der Deutsche Wohnen 65.000 Berliner Wohnungen verkauft. Der damalige Preis: Gerade einmal 405 Millionen. Der Rückkauf durch das Land der vornehmlich in armen Stadtteilen gelegenen Wohnungen zu den Spekulationspreisen des aktuell überhitzten Immobilienmarktes könnte einmal mehr zu einem lukrativen Deal geraten. Für den Wohnkonzern.
Die Konzerne versichern, dass beim Zustandekommen des Deals die Mietsteigerungen in den folgenden 3 Jahren auf 1% gedeckelt werden und die Kosten energetischer Sanierungen nicht voll auf die Mieter:innen umgelegt werden. Offen bleibt, wie es mittel- und langfristig weitergeht. Der Deutsche Mieterbund kritisierte zudem, dass sich dieses Angebot nur auf Berlin beschränke, gerade der wesentlich größere Vonovia-Konzern aber im restlichen Bundesgebiet viel mehr Wohnungen besitze.
Auf der Suche nach echten Lösungen hilft ein Blick in die Vergangenheit:
Bis zum 31.12.1989 galt in der Bundesrepublik das sogenannte »Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz«. Dieses schrieb vor, dass Unternehmen maximal 4% Rendite an ihre Gesellschafter:innen ausgeben durften, alle weiteren Gewinne mussten in den Wohnungsbau reinvestiert werden. In Zeiten, in denen es in vielen Städten an Wohnungen fehlt, wäre das keine schlechte Idee. Angepasst an die Probleme unserer Zeit könnten die Unternehmen auch verpflichtet werden, die überschüssigen Gewinne in die energetische Sanierung und klimafreundlichere Heizanlagen zu investieren. So könnten die Wohnungen der Konzerne – und der Planet Erde – auf lange Sicht ein guter Wohnraum sein.
Und was hat Lipperreihe damit zu tun?
Wenn man diese aktuellen Marktgeschehnisse beobachtet, dann können wir in Lipperreihe mit guter Begründung darauf bestehen, dass wir Bürger an einer Stadtteilentwicklung unseres Ortes persönlich beteiligt werden wollen und nicht, oder weniger an einem Investor interessiert sind, der genau das Grundproblem: „Wohnen soll Profite machen“ in Lipperreihe umsetzen will.
Je mehr Menschen sich am Dialog beteiligen, desto mehr Dynamik entwickelt sich: Genau hinhören und nicht alles hinnehmen! Selbstbewußte Gestaltung statt Verwaltung! Einmischen statt Auftischen lassen! Lösungen diskutieren statt Probleme suchen! Und das ganze am Besten im persönlichen Austausch, am liebsten kontrovers, engagiert und konstuktiv mit Experten, Professionals und Bürgern gemeinsam. Genau das braucht Lipperreihe, um positive Impulse zu setzen und sich zu entwickeln.